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KiLe-Blog

Hoffnung schenken

Buhnen am Nordseestrand
Montag, 10. Februar 2025

Ich denke an Sie!

Hoffnung schenken

Über die verordnete Medikation kam ich mit einem Stammkunden ins Gespräch über eine bevorstehende Operation. Krebserkrankungen lösen immer – immer noch – große Ängste aus. Menschen, die ihr Leben lang selbstständig gearbeitet haben, werden zu Patienten. Sie müssen plötzlich all ihre Verantwortung abgeben und sich Ärzten und Therapeuten anvertrauen. Ärzte dozieren sachlich von Therapieoptionen und erfolgsversprechenden Eingriffen, Heilungschancen und Überlebenswahrscheinlichkeiten. Der Patient hat Angst vor Schmerzen und vor dem Tod. Vor Loslassen und Abschied nehmen und Nie-wieder und dem letzten Mal.

So sprachen wir kurz über die bevorstehende Operation. Ich versuchte ihm vor allem für seine Ängste Verständnis entgegenzubringen. Schließlich sagte ich: Ich drücke Ihnen für Montag (den Tag der Operation) die Daumen!

Nachdem ich es ausgesprochen hatte, zweifelte ich an meinem Satz: Daumendrücken – ist das albern? Kindisch? Unsinn? Aberglaube?

Aber es war meine Art auszudrücken: Sie sind mir wichtig. So wichtig, dass ich an einem Tag in der nächsten Woche mit meinen Gedanken bei Ihnen sein möchte, um Ihnen meine Kraft und alle Hoffnung zu schicken, auf dass es gut wird.

Meine Mutter würde in einer solchen Situation eine Kerze für den anderen anzünden, für die Zeit einer Prüfung, fürs Gesundwerden, für gute Wünsche. Bei ihr schüttele ich innerlich immer den Kopf. Was soll das helfen?

Der Mann lächelte mich dankbar an. Er hatte selbst als Pastor Trost gespendet und in solchen Momenten wahrscheinlich gesagt: Ich bete für Sie. Er wusste: Genauso habe ich es gemeint.

Umgang mit Ärger

Schmetterling auf Rucksack
Dienstag, 4. Februar 2025

Ein Schritt zurücktreten

Umgang mit Ärger

Ich habe mich lange darüber geärgert, dass niemand aus meinem Haushalt mir dabei geholfen hat – d.h. niemand mit mir daran gedacht hat – die Mülltonnen an jedem Dienstagabend an die Straße und an jedem Mittwochmittag (oder Abend, je nachdem wer wann als erstes nach Hause kam) wieder zurück an ihren Platz stellte. Weil ich wohl erwartet habe, dass die Mülltonnenleerung ein Ereignis ist, das für jeden aus der Familie wichtig ist. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass das nicht so ist. Mir ist es wichtig – den anderen nicht. Also habe ich es verstanden: es sind meine Mülltonnen, um die ich mich kümmere. Und wenn ich abends nach Hause kam, klatschte ich vor (zunächst nicht ganz ernst gemeinter) Freude in die Hände und begrüßte meine Mülltonnen: „Da seid ihr ja noch! Habt ihr auf mich gewartet?“ Je häufiger ich dieses Spiel spielte, um so weniger konnte ich ärgern. Ich hatte nicht erwartet, dass sie von jemanden anderes hereingeholt worden waren. Ich wusste, dass sie noch an der Straße stehen würden. Schlecht wäre es gewesen, wenn sie nicht mehr da gestanden hätten - dann hätte sie jemand gestohlen.

Erwarte ich etwas von der Kollegin, von dem sie vielleicht gar nichts weiß oder was ihr gar nicht wichtig ist? Sind meine Erwartungen wirklich für die Apotheke wichtig oder nur für mich? Sind sie klar und deutlich ausgesprochen? Oder sind es unausgesprochene Regeln, von denen ich denke, „das müsste doch jeder sehen, jeder wissen, jeder von selbst verstehen“?

Und ist es so schlimm, dass die Kollegin etwas liegen lässt, was (offensichtlich) nur mir wichtig ist, es richtig wegzuräumen? Meist ist es nur ein Handgriff, es selbst zu tun. Oder ist es etwas, was wir seit Jahren zum Thema in unseren Teamsitzungen machen und was für das gesamte Team wirklich wichtig ist? Dann warte ich auf einen ruhigen Moment, um ihr unaufgeregt zu erklären, wie sie es demnächst besser macht.

Mensch ärgere dich nicht

Nebelwand auf einem Berggipfel
Freitag, 31. Januar 2025

Einfacher gesagt als getan

Mensch ärgerer dich nicht!

„Du ärgerst mich“, das kann ich sagen, wenn ein Mitspieler beim Würfelspiel mich absichtlich immer wieder am Fortkommen hindert. Aber wenn eine Kollegin ihren Arbeitsplatz unordentlich – also ohne für mich erkennbare Ordnung – hinterlässt, dann hört sich der Satz „Du ärgerst mich“ doch falsch an. Sie ist vielleicht eilig aufgebrochen, weil sie ihr Kind vom Kindergarten abholen muss. Sie hat die Unordnung nicht hinterlassen, um mich zu ärgern, sondern weil sie sie nicht wahrgenommen hat, weil sie es vergessen hat, weil sie nicht daran gedacht hat.

Ärger entsteht in der Person, die etwas von dem anderen erwartet und die in dieser Erwartung enttäuscht wird.

Ich ärgere mich, wenn mich mein Lebenspartner im Würfelspiel immer wieder herauskegelt, obwohl er andere Spieloptionen hätte. Ich habe die Erwartung und Hoffnung, dass er mich schont und mir einen Vorteil einräumt. Dabei sind die Spielregeln bekannt, und in diesem Spiel geht es darum, die Figuren der anderen zu schlagen, also vom Spielfeld zurück ins Haus zu werfen. Könnte ich mich mit ihm freuen, dass er heute so viel Glück hat, immer die richtigen Zahlen zu würfeln?

Ich ärgere mich, wenn ich schon fast auf dem Nachhauseweg feststelle, dass in der Apotheke ein Fenster offensteht. Wenn ich also noch einmal aufschließen und in den hintersten Raum der Apotheke gehen muss, um dieses Fenster zu schließen. Ich ärgere mich, weil ich die Erwartung hatte, dass der letzte, der diesen Raum verlässt, die Fenster kontrolliert und schließt. Auf der anderen Seite hätte ich die Fenster auch selbst kontrollieren können – habe ich aber nicht gemacht. Ich kann mich freuen, dass es mir noch rechtzeitig aufgefallen ist. Ansonsten hätte jemand Fremdes einsteigen oder etwas hineinwerfen und zerstören können. Gut, dass ich das offene Fenster bemerkt habe!

Immer dieser Ärger

Springböcke im Kampf
Donnerstag, 30. Januar 2025

Allerlei Gründe, sich zu ärgern

Immer dieser Ärger

„Sieh dir diese Unordnung an! Da muss man doch verrückt werden!“, schimpft die Kollegin und weiß vor lauter Ärger nicht wohin mit ihren Händen. Sie bekommt rote Flecken an ihrem Hals und ihre Stimme wird schrill.

Was ist das für eine Geschichte mit dem Ärger? Wir sagen: „Ich ärgere mich über…“ … über die Unordnung zum Beispiel oder über die Kollegin, über die Lieferengpässe oder über die Umstände der Gesundheitspolitik. Dabei denken wir, die Unordnung, die Kollegin, die Lieferengpässe sind schuld an unserem Ärger. Aber wenn wir genauer hinsehen und hinhören, wird es ganz deutlich: „Ich ärgere mich.“ Nicht die Situation ärgert mich, sondern ich lasse zu, dass durch meine Bewertung der Situation das Gefühl von Ärger entsteht. Ärger ist ein Gefühl von Unzufriedenheit und Missgestimmtheit als Reaktion auf eine unerwünschte und unangenehme Situation. Ich habe eine Erwartung und das Leben läuft ganz anders. Ist so nicht das ganze Leben?

Ich kann mich über die Unordnung (meist der anderen) ärgern, wenn ich erwarte, dass jeder Ordnung hält und alles immer an seinem Platz liegt. Wenn ich aber davon ausgehe, dass der Locher, der Textmarker oder die Plaquefärbetabletten immer wieder mal woanders liegen, dann sehe ich es als Herausforderung, sie zu finden. Wir arbeiten mit vielen Menschen zusammen, die alle ein eigenes Ordnungsprinzip haben. Das kann ich nicht ändern.

Ich kann mich über Lieferengpässe ärgern, aber wir wissen es in der Zwischenzeit doch alle, dass wir mit Lieferengpässen rechnen müssen. Freuen wir uns doch stattdessen, wenn mal "alles" auf Lager ist. Schlagen wir den Lieferengpässen ein Schnippchen, wenn wir es trotzdem schaffen, eine Lösung zu finden. Nehmen wir es hin, wenn gar nichts geht, und lassen den Arzt über Alternativen nachdenken. Ärger hilft uns nicht weiter.

Ich kann mich über Günter Jauch ärgern, der Werbung für die Shop Apotheke macht, aber auch sein Verhalten kann ich nicht ändern. Hier kann ich mich darüber freuen, dass er uns und all unseren Kunden zeigt, wie unsere E-Rezept-Apps funktionieren: Karte daran halten und in der Wunsch-Apotheke bestellen.

Ja, ich kann mich über alles ärgern. Muss ich aber nicht. Mir gefällt das Leben besser ohne Ärger.

Winterglück

Grauer Winterhimmel über verschneiten Hausdächern
Freitag, 10. Januar 2025

Kleine Freuden

Winterglück

Alles grau in grau? Winterblues? Wann werden endlich die Tage wieder länger? Überall auf der Welt klagen die Menschen über die „dunkle Jahreszeit“. Im Sommer strecken wir unsere Gesichter in die Sonne und genießen die Wärme auf der Haut – im Winter ziehen wir wie Schildkröten unsere Köpfe in Mützen und Kapuzen und schimpfen über die Kälte. Dabei ist der Winter viel zu lang, um darauf zu warten, dass es endlich wieder wärmer wird.

Jetzt ist die Zeit, um mit einer heißen Tasse Kräutertee, in eine Decke aufs Sofa gekuschelt den Roman zu lesen, der seit dem letzten Sommer auf dem Nachttisch wartete. Jetzt ist die Zeit, abends bei Kerzenschein übrig gebliebene Lebkuchen zu naschen und in den Erinnerungen des letzten Jahres zu schwelgen. Jetzt ist die Zeit, Freunde nach Hause einzuladen, um gemeinsam Raclette zu essen und alte Geschichten zu erzählen. Jetzt ist die Zeit, Gesellschaftsspiele aus dem Keller zu holen und bei Monopoly die Gewinnerstrategie des Partners zu bewundern oder bei „Mensch ärgere dich nicht“ zu beweisen, wie freundlich wir unseren Mitspielern gegenüber sein wollen.

Jetzt ist die Zeit, wahrzunehmen, wie gut es uns geht: ein Dach über dem Kopf, beheizte Räume, genug zu essen und zu trinken. Freunde, Familie oder Nachbarn. Zufälliges Treffen mit Fremden. Ein geschenktes Lächeln bei der Begegnung in dickem Schal und Wintermantel. Autos fahren vorsichtig und halten an der Kreuzung an, um die Fußgänger durch den matschigen Schnee am Straßenrand über die Straße stapfen zu lassen.

Ich freue mich, wenn es regnet. Ich freue mich, wenn es schneit. Wenn ein eisiger Wind um die Hausecke pfeift. Wenn die Hagelkörner aufs Dachfenster prasseln. Denn es regnet, schneit, stürmt auch, wenn ich mich nicht freue.

Allerleirauh

Auszug aus Märchentext
Donnerstag, 9. Januar 2025

Märchen

Allerleirauh

Ein Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm heißt Allerleirauh. Es wird interpretiert als ein Märchen, in dem eine schöne Prinzessin selbstbewusst mit dem Umwerben eines Königs spielt und ein selbstbestimmtes Leben lebt.

Wer sich das Märchen vornimmt, liest von einem jungen Mädchen, dem nach dem Tod der Mutter angekündigt wird, mit dem eigenen Vater vermählt zu werden, weil sie und nur sie die schönste Frau in diesem Königreich sei. Sie versucht mit Tricks, dieser Heirat zu entkommen, indem sie unter anderem fordert, dass der Vater ihr einen Mantel aus dem Fell einer jeden in der Gegend lebenden Tierart schneidern lassen soll.

„Eh ich Euren Wunsch erfülle, muß ich erst drei Kleider haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond und eins so glänzend wie die Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und Rauhwerk zusammengesetzt, und ein jedes Tier in Eurem Reich muß ein Stück seiner Haut dazugeben.“ Sie dachte aber: Das anzuschaffen ist ganz unmöglich.

Der Vater aber schafft es doch.

Also muss sie fliehen und versteckt sich in einem fremden Wald. Hier regiert ein anderer König, der sie in ihrer Fellverkleidung findet und für sich arbeiten lässt. Sie verkleidet und versteckt sich in ihrem Fellmantel, um sich vor den zudringlichen Zugriffen des Herrschers zu verstecken. Und wird schließlich doch vom König in all ihrer Schönheit entdeckt und schließlich zur Frau genommen.

Ist das ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Frauenleben? Es scheint mir, sie ist gerade so dem ersten Unglück mit ihrem Vater entkommen und muss zunächst ein Leben auf der Flucht führen. Dann verbringt sie ihre Zeit in Leibeigenschaft in der Küche und schließlich soll sie als eine wunderschöne Gespielin die Attraktivität des neuen Königs stärken. Mein Wunschleben wäre es nicht. Zum Glück habe ich auch keine goldenen Haare.

Rauchwaren

Zebra in Seitensicht
Mittwoch, 8. Januar 2025

Haarige Gestalten

Rauchwaren

Bei Rauchwaren denken wir heute an Zigaretten, Pfeifen und Cannabis, dabei wird der Begriff für „zugerichtete gegerbte, noch nicht zu Pelz verarbeitete Tierfelle“ verwendet. Die Herstellung von Pelzen aus Tierhaut wird von Kürschnern ausgeführt, aber wer kennt heute noch die Arbeit eines Kürschners? Das Adjektiv „rauch, rauh/rau“ bedeutete „behaart, zottig, mit Wolle, Haaren oder Federn bewachsen, im Gegensatz zu glatt“.

Die Rauchnächte sind nun vorbei. Aber die in diesen dunklen Nächten auftretenden bösen Geister wurden als in Pelz gekleidete Gestalten vorgestellt. In dieser Zeit geisterten also Pelzgestalten umher, die die Anwohner in Angst und Schrecken versetzten. Mit allen Mitteln – manchmal auch mit Rauch, nämlich zum Beispiel Weihrauch – versuchten sie diese Schreckgespenster zu vertreiben, damit ein hoffentlich angstfreies, gutes und helles neues Jahr aufziehen konnte.

Raunächte

Brennendes Streichholz in der Hand
Sonntag, 5. Januar 2025

Zwischen den Jahren

Raunächte

Als Raunächte (alte Schreibung: Rauhnächte oder auch Rauchnächte) werden die dunkelsten Nächte des Jahres genannt, die Nächte „zwischen den Jahren“. Meist werden die zwölf Nächte ab dem ersten Weihnachtsfeiertag bis zum Heilige-Drei-Könige-Tag, also vom 25. Dezember bis zum 06. Januar, gezählt. Andere Gegenden rechnen die Zeit von der Wintersonnwende, dem 21. Dezember, bis zu Silvester.

Rau, das klingt nach Kälte und Frost und eisigem Wind. Es ist die Zeit, in der wir uns zurückziehen und uns besinnen: Wie war das vergangene Jahr, was kommt im nächsten? Das war früher die Zeit, zusammenzusitzen und sich Geschichten zu erzählen. Geschichten über die Ereignisse des Lebens und die Urgewalt der Natur, die damals mit bösen Geistern in Verbindung gebracht wurden. Diese bösen Geister wurden mit Rauch aus dem Haus vertrieben. Dafür wurden Äste und Zweige angezündet und Zimmer, Schlafräume, Abstellkammern ausgeräuchert.

Heute übernehmen Geistervertreiben und Ausräuchern zum einen unser Silvesterfeuerwerk, zum anderen die Aufräumaktionen nach Weihnachten. Der nadelnde Baum wird abgeschmückt und an die Straße gestellt. Die engel- und sternreiche Dekoration wird in Zeitungspapier eingeschlagen und in Pappkartons verstaut. Es wird gesaugt und Staub gewischt, die weiße Tischdecke gewaschen und die Betten frisch bezogen. Damit wir uns Platz schaffen für das, was wir uns fürs neue Jahr vorgenommen haben. Für das, was uns wirklich wichtig ist.

Raureif

Raureif an einem Straßenbaum
Samstag, 4. Januar 2025

Kleine Auszeit

Raureif

Zum Geburtstag einer Freundin treffen wir uns an einem Samstagmittag in den Pfälzer Weinbergen. Bei Sonnenschein fahren wir los. Hinter Frankfurt plötzlich umhüllt die Autobahn eine Nebelwolke. Das Außenthermometer zeigt Temperaturen deutlich unter null Grad. Und am Ziel steigen wir aus in ein unwirkliches Weiß. Weißgrauer Himmel, weiße Wege, stachelig weiß umhüllte Büsche und Bäume, Blätter und Knospen, Oberleitungen und Spinnennetze. Jede Oberfläche ist von einem glitzernden Rand umgeben im Eis erstarrt: winter wonder land.

Raureif entsteht aus feinen unterkühlten Nebeltropfen beim Anlagern an feste Oberflächen, deren Temperaturen unter dem Gefrierpunkt liegen. An den kalten Oberflächen gefriert der Nebel langsam zu Eiskristallen. Dabei entsteht eine raue, haarige, ausgefranste Struktur. Nebel sei eine Bedingung für Raureif. Für die Niederschlagsform „Reif“ braucht es jedoch keinen Nebel. Aber so viel Information stört hier nur das Wunder. Welch ein Zauber!

Farbe bekennen

Farbskulptur Blbao
Mittwoch, 27. November 2024

Das bunte Leben

Farbe bekennen

Im Facebook-Status einer Freundin stehen zurzeit Bilder aus Argentinien: Häuser, Verkaufsstände, Märkte, Kleidung – eine Welt in schreiend bunten Farben und knalligen Kontrasten. Sonnengelb, Karmesinrot, Naranja-Orange und Azurblau. Keine milden Farbverläufe, kein Marketing-mäßiges Farbkonzept, sondern alles rausgehauen, was das Grundfarbenspektrum hergibt. – Ungewöhnlich aus Sicht eines europäischen Haushalts, der mit Weiß und hellem Holz und Pflanzengrün auskommt.

Die lauten Farben erscheinen mir wie starke und mitreißende Gefühle. Umwerfende Lebensfreude und niederschmetternde Wehmut. Glühende Liebe und stechender Hass. Schmelzende Glückseligkeit und kalte Einsamkeit.

Und bei uns? Neutrales Weiß. Maßvolles Sandgelb. Professionelles Stahlgrau. Ernstes Anthrazit.

Leute, lasst uns Wände anmalen und bunte Kleidung tragen, anstatt uns blass und farblos zu verstecken. Lasst uns Farbe bekennen: lebenslustiges Pink, sanftmütiges Flieder, kraftvolles Frühlingsgrün, strahlendes Aquamarin. Lassen wir es zu, uns himmelhochjauchzend zu fühlen. Und glückselig beschwingt. Oder begeistert und euphorisch. Wir werden auch mal tieftraurig sein oder stinkwütend. Aber dann wieder warm verbunden und wohlig sicher und dankbar für das Leben.

Ab wann ist man erwachsen?

Römische Statue mit Kinderkopf
Samstag, 23. November 2024

Im Beratungsgespräch

Ab wann ist man erwachsen?

„Ich brauche ein Mittel gegen Halsschmerzen für meinen Sohn!“ Die Standardrückfrage einer geschulten Apothekenmitarbeiterin im Handverkauf: „Wie alt ist denn Ihr Sohn?“ (Achtung: Diese Frage ist offensichtlich falsch formuliert, wenn die Kundin darauf zum Beispiel „Mein Sohn ist vierzig“ antwortet.)

Diesmal soll die Antwort sein: „Mein Sohn ist zwölf.“ Und darauf antworten wir: „Demnach ist er für Pharmakologen schon erwachsen.“ Und diese Aussage führt fast immer zunächst zu Erheiterung und schließlich zu philosophischem Nachsinnen.

Der Zwölfjährige fühlt sich erwachsen, benimmt sich aber (zum Glück noch) wie ein kleines Kind, wenn er kuscheln will, oder wenn er mit seinen Bausteinen auf dem Teppichboden spielt. Er möchte ernst genommen werden, wenn er entscheiden will, wie er nachmittags seine Zeit verbringt (mit Computerspielen), was er isst (kein Gemüse) und wann er abends schlafen geht (auf jeden Fall spät, zu spät!). Er fordert Gleichberechtigung, obwohl Selbstverpflichtung in seinem Wortschatz noch keinen Platz gefunden hat. Zum Beispiel die Pflicht, alle Schulsachen zu erledigen und zur rechten Zeit vorzulegen. Pflichten in Bezug auf getragene Sportwäsche in Fußballtaschen, die anstatt dort feucht-fröhlich zu gären besser in den Korb vor die Waschmaschine gelegt werden könnte. Oder in Bezug auf Mülleimer, die sich auch in seinem Zimmer nicht durch Zauberhand von allein leeren, sondern herausgetragen und geleert werden müssen.

Gedankenvolles Seufzen, dass dieses Kind schon als „erwachsen“ gilt. „Und“, ergänzt die Mutter, „die Pubertät kommt erst noch.“

Ich fühle ihre Sorgen, die noch wachsen werden: Welche Ausbildung, welches Studium, welcher Beruf. Welche Partnerin, welcher Partner, welche Familie… Wir nicken, beide verloren in unseren Gedanken. Mit einem kräftigen Einatmen sieht sie auf und lächelt mich an. In dem Moment erinnern wir uns an den Anlass ihres Apothekenbesuchs. Schnell finden wir ein Mittel, das zumindest gegen das einfachste Problem, Halsschmerzen, helfen wird.

Räumen mit Rumba

Guantanamera Notenblatt
Mittwoch, 20. November 2024

Alltag in der Apotheke

Räumen mit Rumba

Immer, wenn ich eine Packung eines bestimmten Erkältungsmittels in die Hand bekomme, kommt mir eine Melodie in den Sinn. „Guantanamera, Guanjira Guantanamera…“ Man kann den „unaussprechlichen“ Arzneimittelnamen problemlos auf diese Melodie singen und dazu kubanische Hüftbewegungen (cuban action in der Rumba) ausführen, wenn man mag, und schon macht das Leben Spaß.

In Apotheken gibt es eine Sichtwahl. Das sind die Regale hinter dem Handverkaufstisch. Hier werden apothekenpflichtige Arzneimittel präsentiert, ohne dass Kunden direkt Zugriff darauf haben dürfen. Die Bestückung dieser Regale unterliegt einem jahreszeitlichen Wechsel.

Bevor die erste Erle blüht, müssen die Heuschnupfenmittel ins Regal. Spätestens im Juni eines jeden Jahres werden sie wieder in den Schubladen verstaut. Die Regalböden werden vom Pollenstaub des Frühjahrs befreit und mit Sommer-Sonnenbrand-Antimückenmitteln bestückt. Wenig später wird die Sommer-Ware in den Schubladen versenkt und die Erkältungsmittel kommen auf die frisch gewienerten Böden. Hier kommt das Lied ins Spiel - und schon bekommt das langweilige Umräumen einen neuen Schwung!

„Guantanamera“ wurde von unzähligen Künstlern mit unterschiedlichsten Texten gesungen. Udo Jürgens hat auf diese Melodie „Wer zählt die Tränen“, Klaus und Klaus haben „Ein Rudi Völler“ und Bernd Stelter „Ein Bier im Keller“ gesungen. Unser Text fügt sich anspruchslos in diese Reihe ein.

Heutzutage gibt es eine digitale Sichtwahl und ein automatisiertes Warenlager. Aber hin und wieder fragt ein Kunde nach diesem Mittel und dann summen wir beschwingt die eine oder andere Melodie.

In Nöten - ohne Not

Bunte Regenschirme als Überdachung
Montag, 11. November 2024

In der Warteschlange

In Nöten - ohne Not

Aus der Warteschlange heraus ruft eine junge Frau: „Süße, wo bist du?“ – „Hiehier!“, antwortet eine helle Kinderstimme aus der Spielecke. Wenig später ruft die Mutter wieder: „Süße, geht’s dir gut?“ Die helle Stimme antwortet fröhlich: „Jaha!“ und eine Sekunde später: „Ich muss Aa!“

Die ganze Apotheke verstummt. „Habe ich das wirklich gerade richtig verstanden?“ – „Hat sie gerade wirklich Aa gesagt?“ – „Haben die anderen das auch gehört?“ Jeder versucht es zu ignorieren, blickt verstohlen auf den Boden, hält die Luft an. Das kann nicht sein. Das sagt man nicht. Es gehört sich nicht. Und was soll die Mutter jetzt tun? Die Mutter atmet einmal tief ein und aus und scheint sich genau diese Frage zu stellen.

„Was habe ich da gehört? Da muss jemand auf die Toilette? Da können wir doch helfen.“ Mutter und Kind dürfen die Personaltoilette aufsuchen. Was muss, das muss. Die Menschen in der Apotheke atmen aus. Man hört ein erleichtertes Lachen. Das Hintergrundgeräusch der Kundengespräche schwillt wieder an.

Ist es nicht schön, wenn das Kind sagt, es ginge ihm gut UND es müsse auf die Toilette? Jeder der anwesenden Erwachsenen hätte auf die Frage „Geht’s dir gut?“ in dieser Situation verschämt und ganz leise ein Nein geflüstert: „Nein, es gibt ein Problem. Es geht mir nicht gut, weil ich auf die Toilette muss. Weil es im Umkreis von einem Kilometer keine öffentliche Apotheke gibt. Weil ich mich schäme, es jemandem zu sagen und darum zu bitten, eine private Toilette zu benutzen.“

Und umgekehrt: Wie oft fragt uns jemand – ebenfalls verschämt – nach Hilfe, weil er unter Verstopfung leidet. Wer kann in diesem Zusammenhang auf die Frage „Geht es Ihnen gut? Geht es dir gut?“ fröhlich laut mit „Jaha!“ antworten? Das Kind kann es. Für ihn erscheint sein Leben (noch) ohne Scham und ohne Not. Und wir haben dazu beigetragen, dass es erst einmal so bleibt.

Mehr Sein, weniger Schein

Spiegelbild in einer Pfütze
Freitag, 8. November 2024

Menschen in der Apotheke

Mehr Sein, weniger Schein

Über Jahre besuchte uns eine Dame, die bereits beim Betreten der Apotheke den Raum mit ihrer Erscheinung füllte und alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie schritt auf den HV-Tisch zu und war ungehalten, wenn sie nicht gleich mit Namen angesprochen wurde. Sie erschien als eine V.I.P., denn sie war die Frau eines wichtigen Mannes der Stadt. Quasi eine "Frau Doktor", auch wenn nicht sie, sondern ihr Mann den Titel führte.

Dann wurde ihr Mann schwer krank. Mit ihrem nun schwachen und hilfebedürftigen Mann an ihrer Seite stand sie nun nicht mehr als "Frau Doktor", sondern als "Frau eines hilflosen alten Mannes" vor uns. Sie versuchte, ihr Selbstbild aufrecht zu halten. Sie reagierte ungehalten auf die Schwäche ihres Mannes und schimpfte mit ihm, er solle sich doch wenigstens hier in der Apotheke zusammenreißen.

Wir haben sie beide mit den verordneten Arzneimitteln versorgt. Und wir haben sie - ohne Worte - umsorgt: ihn mit unserer Wertschätzung, sie mit der Bestätigung, dass wir sie weiterhin achten, beide mit dem Versprechen, sie auch in schwierigen Zeiten zu unterstützen.

Ich hoffe, sie hat an dem Tag verstanden, dass wir jedem Menschen in der Apotheke den gleichen Respekt entgegen bringen. Sowohl den Honoratioren der Stadt (gibt es sie überhaupt noch?) als auch den Menschen ohne Titel und Amt. Sowohl dem eiligen Kunden, der online vorbestellt hat, als auch dem, der - wenn er vor uns steht - nicht mehr weiß, was er eigentlich wollte. Sowohl dem "Einheimischen" als auch dem "Zugezogenen".

Gedanken zum Warten

Schlange stehen
Donnerstag, 7. November 2024

Warteschlangen

Gedanken zum Warten

Unsere Kunden und Patienten kommen meistens im Pulk, also als Busladung, in unsere Apotheke. Sie kennen unsere (ungeschriebene) Regel: zwei Eingänge, eine Warteschlange. Sie reihen sich meist ohne Aufsehen ein und rücken vor, sobald es geht. Wenn sie dann an der Reihe sind, nehmen wir uns für jeden Kunden die Zeit, die er braucht, mal mehr (wenn nötig), gerne auch weniger.

Eine Kollegin kam auf die Idee, einen Korb aufzustellen, angefüllt mit kleinen Packungen "Dinkelchen" versehen mit einem Plakat: "Zur Versüßung Ihrer Wartezeit".

Eine Begegnung geht mir nicht aus dem Kopf: Ein junger Mann tritt zu mir aus der Warteschlange an den HV-Tisch und sagt ohne weitere Begrüßung: "Sie müssen die Süßigkeiten auffüllen. Der Korb ist leer." Ich bedanke mich für den Hinweis und verspreche, mich gleich darum zu kümmern. "Besser als Süßigkeiten wären irgendwelche Pillen zur Lebensverlängerung", redet er weiter. "So viel Lebenszeit, wie man bei Ihnen beim Warten vernichtet." Dann erst nennt er mir seinen Wunsch - ich habe vergessen, was es war.

Aber seine Bemerkung kann ich nicht vergessen. Lebenszeit vernichten. Der Vorwurf sitzt. Einige Kunden lenken sich ab und nutzen die Zeit, um auf dem Handy Nachrichten zu checken. Die meisten aber nutzen diese Wartezeit, um sich umzusehen und zu beobachten. Und im besten Fall sogar mit anderen Kontakt aufzunehmen: Man trifft sich, man plaudert. Übers Wetter, über die Politik, über die gefällte Kastanie auf der Hauptstraße oder den neuen Kreisverkehr. Man ärgert sich vielleicht gemeinsam über den Personalmangel in Gesundheitsberufen. Dabei gibt es immer auch jemanden, der beschwichtigt und für uns einsteht: "Die tun, was sie können."

Vor die Tür gehen, in ein Geschäft, Menschen treffen, sich einreihen in die Abläufe des Alltags - das ist Leben.

Was hätte der junge Mann mit seiner Zeit sonst gemacht? Hätte er sie schöner genutzt? Hätte er mehr Freude empfunden? Mit einem anderen Menschen an seiner Seite? Ich wünsche ihm, dass er das nachgeholt hat.